Ungerecht

Neulich „beschwerte“ sich eine Klientin bei mir, dass ich IHR vorschlug, bei sich selbst etwas zu verändern, wo es doch ganz offensichtlich ihr Mann sei, der sich ändern müsse. Schließlich sei er es ja, dem der Sex mit ihr egal geworden sei.

 

Sie fühle sich nun doppelt bestraft: Erstens müsse sie unter dem körperlichen Desinteresse Ihres Mannes leiden und zweitens müsse sie sich nun auch noch ändern – als hab sie etwas falsch gemacht. Das sei ungerecht!

 

Ich gab der Klientin recht, dass man (bzw. frau) dies tatsächlich als ungerecht empfinden kann. Dann fragte ich sie, die ja, im Gegensatz zu ihrem Mann, den das sexlose Leben nicht weiter zu stören schein, unter der Situation litt, was denn statt dessen eine gerechtere Lösung des Problems sei.

 

Was ist gerecht?

Gerechter sei es natürlich, so antwortete sie, wenn ihr Mann sich ändern würde um wieder mehr Interesse an ihr zu haben – aber das würde er wohl nicht tun, so fuhr sie fort, da er ja kaum leide.

 

Und genau hierin liegt die entscheidende Einsicht der Klientin, denn wenn sie nichts ändert und daher weiter leidet, wird die Situation dadurch auch nicht gerechter.

 

Das Gefühl der Ungerechtigkeit kommt auch daher, dass wir Veränderung oft als Akt der Schwäche statt der Stärke begreifen. Oft glauben wir, dass derjenige, der sich ändert bisher etwas falsch gemacht hat, also ein Schuldeingeständnis abgibt, während derjenige, der so weitermacht wie immer, alles richtig gemacht hat. Eine andere Sichtweise wär: Wer in der Lage ist, etwas zu ändern ist eher ein selbst bestimmter, freier Mensch als derjenige der nicht dazu lernen will oder kann.

 

Schule des Lebens

Es ist ähnlich wie mit der Schule: Ist es eine ungeliebte Pflicht, dort hin gehen zu müssen oder sind wir dankbar etwas lernen zu dürfen? Die Sichtweise dazu hängt sicherlich auch von der inneren Reife ab. Während Kinder eher zu ersterer Ansicht tendieren, zahlen Erwachsene oft viel Geld um in Seminaren und Kursen Neues zu erfahren, weil Sie das Lernen als wertvoll betrachten.

 

Übertragen auf die Klientin bedeutet das: Ist es wirklich so ungerecht, dass sie etwas verändern muss, wenn sie leidet und ihr Mann das (noch) nicht tut, oder liegt für sie auch ein Schatz darin, ihre Möglichkeiten und Sichtweisen zu erweitern, während ihr Mann noch in der Stagnation verhaftet ist.

 

Und so wie der Gang zur Schule nicht immer ein „reines Zuckerschlecken“ ist und wir sicherlich manchmal darüber geflucht haben, so mag auch die Schule des Lebens und Liebens anstrengend sein. Dennoch scheint es mir sinnvoll in beidem eher ein Geschenk als eine ungerechte Strafe zu erblicken, denn diejenigen zu beneiden, die nichts mehr lernen wollen oder können, scheint mir absurd.

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